Die Politik sollte schnellstmöglich eine klare Richtung vorgeben und das Thema Schulöffnungen auf Ende Mai vertagen. Dies muss mit konkreten Planungen einhergehen, wie die Zeit bis dahin – und ggf. darüber hinaus - mit digitalem und analogem Lehren und Lernen für ALLE Schülerinnen und Schüler aussehen soll. Und: die weniger aktiven Lehrerinnen und Lehrer sollten an ihre Dienstpflichten erinnert und angehalten werden, diesen auch nachzukommen – auch zum Schutz der Engagierten.
Und zwar deshalb:
Seit Montag sind wirklich Ferien, Osterferien. Die Schulen und Kitas sind seit drei Wochen geschlossen und es läuft sehr unterschiedlich: Manche Eltern berichten von engagierten Schulen und Lehrkräften – manche aber auch von solchen, die die sog. Corona-Ferien (ein eigentlich absurder Begriff) wörtlich genommen haben. Bisweilen wird es fast schon zynisch, wenn Eltern etwa berichten, dass sie anhand von Fotos, auf denen der Lehrer auf Facebook von seiner Motorrad-Tour berichtet, und dadurch beruhigt feststellen können, dass der Lehrer gesund und wohlauf sei.
Zwar sind jetzt also wirklich Ferien. Aber dennoch fragen sich viele, wie es denn in zwei Wochen, nach den Osterferien, weitergehen wird. Die Kultusministerkonferenz (KMK) verweist darauf, dass sie auf Sicht fahre. Im Moment heißt das wohl, sie fährt im dichten Nebel und weiß nicht, was nach den nächsten 50 – oder doch eher nur 15? – Metern auf einen wartet. Das führt dazu, dass manche Länderminister für die Tage nach den Osterferien Abiturprüfungen ansetzen, verbunden mit dem Hinweis, „sofern es die Lage zulässt“. Für die Schülerinnen und Schüler, die vor dem Abitur stehen, heißt das lernen und davon ausgehen, dass die Prüfungen stattfinden könnten – aber im Hinterkopf wissen sie auch, dass es auch anders kommen und die Prüfungen wieder abgesagt werden könnten. Wer eine solche Situation kennt – und eigentlich dürften das die meisten von uns sein – weiß, dass das nicht motivationsfördernd ist, sondern – im Gegenteil – frustrierend und blockierend. Aus dem Bekanntenkreis weiß ich, dass sogar ansonsten sehr motivierte und lernfreudige Schülerinnen und Schüler, die ein 1,0er-Abi anstreben, sich extrem schwertun mit dem Lernen. Für solche Schülerinnen und Schüler, die vielleicht auf den Medizin- oder Psychologie-Studienplatz hinarbeiten, weil sie wirklich Mediziner/in oder Psycholog/in werden wollen (und nicht, weil man das mit einem solchen Abi nun mal studiert), ist die derzeitige Situation und Planungsunsicherheit eine Katastrophe und Zumutung. Hier wird – unbewusst – mit der Zukunft junger und ambitionierter Menschen gespielt, die jetzt befürchten müssen, dass ihre ganze Schullaufbahn auf einmal „für die Katz ist“ und sie ihr Wunschziel nicht erreichen.
Heute morgen las ich, dass Österreich – ein Land, das im Corona-Verlauf einen Vorsprung von etwa zwei Wochen vor Deutschland hat – die Schulöffnungen ab Mitte Mai angehen will. Dies führt bei mir zu dem naheliegenden Schluss, dass die Schulen in Deutschland frühestens ab Ende Mai wieder anfangen könnten, sich zu öffnen. Zwei Wochen später im Corona-Zyklus, zwei Wochen später bei den Schulschließungen und – fast schon zwingend – zwei Wochen später beim (langsamen) Wiedereröffnen der Schulen. In Berlin und Brandenburg beginnen dann drei Wochen später – planmäßig – die Sommerferien. Diese Zeit könnte reichen, die Abiturprüfungen abzunehmen – verbunden mit einer klaren Kommunikation jetzt: hier und heute, und nicht erst Ende nächster Woche, wenn kein Weg mehr daran vorbeiführt, die Abi-Prüfungen abzusagen und die Schülerinnen und Schüler – mal wieder – zwei Wochen umsonst gelernt haben. Für alle anderen Schülerinnen und Schüler sollte dies mit einer Antwort auf die Frage einhergehen: wie kann es gelingen, den Stoff nachzuholen, der durch „Corona-Ferien“ und das deutlich geringere Lernvolumen „verpasst“ wurde. Davon ausgehend, dass auch in den Sommerferien noch kein normaler Tourismus wird stattfinden können, sollte auch der Vorschlag des Bildungsjournalisten Armin Himmelrath, die Sommerferien zum Lernen zu nutzen, ernsthaft erwogen werden (Spiegel online vom 3.4.2020).
In einer anderen Meldung las ich , dass ein Lehrerverband vorschlägt, dass leistungsschwache Schülerinnen und Schüler freiwillig (!) sitzenbleiben und ein Schuljahr wiederholen sollten. Zum auf der Zunge zergehen lassen: Ein Lehrerverband, der leistungs- und einsatzwillige, aber eben auch – lustlose und (Corona-) ferienbegeisterte – Lehrkräfte vertritt, schlägt dies vor. Bei mir wirft dies sofort die Frage auf, was machen wir denn mit den Lehrkräften, die so wenig Arbeitsethos haben, dass sie es in diesen Zeiten nicht für nötig halten, ihren Dienstpflichten (!) nachzukommen und ihre Schülerinnen und Schüler mit (digitalem) Unterricht, Lernmaterial oder zumindest Hausaufgaben zu versorgen. Als Verband(svertreter) würde ich mich von solchen Lehrkräften distanzieren wollen und als Elternteil und Steuerzahler fände ich Gehaltskürzungen und Abmahnungen angemessen. Für mich gehören solche Personen nicht in die Schule – sie sind ein äußerst schlechtes Vorbild für junge Menschen. Sie schaden zudem dem Ansehen der engagierten und motivierten Lehrkräfte massiv und sind faktisch eine Beleidigung für sie.
Was folgt für mich daraus? Erstens, die Politik sollte schnellstmöglich eine klare Richtung vorgeben und das Thema Schulöffnungen auf frühestens Ende Mai vertagen. Zweitens, dies muss mit konkreten Planungen einhergehen, wie die Zeit bis dahin – und ggf. darüber hinaus - mit digitalem und analogem Lehren und Lernen für ALLE Schülerinnen und Schüler aussehen soll. Drittens, Lehrerinnen und Lehrer müssen an ihre Dienstpflichten erinnert und – ggf. unter Androhung von Sanktionen – angehalten werden, diesen auch nachzukommen.
Dr. Dieter Dohmen ist Inhaber und Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Er arbeitet seit 30 Jahren als Forscher und Berater und hat gerade die Plattform ElternHotline.de initiiert.